Als Kind musste sie sich die Regeln fürs Leben selbst aufstellen. So ist aus ihr eine begnadete Autodidaktin geworden: Als Schauspielerin, Musikproduzentin, Event-Managerin.
Die meisten Menschen werden ja nur einmal geboren. Muss es dann ausgerechnet als Tochter von Nina Hagen sein? Wäre so eine Kindheit essbar, würde sie vermutlich wie Schokolade mit Chilischoten schmecken oder wie Currywurst in Kokosmilch. Nach irgendeiner bittersüßen Mischung jedenfalls.
Als Tochter von Nina Hagen kriegt man gleich mal einen Namen wie Cosma Shiva, dazu die Verkündigung, man sei der »neue Messias« und sehe aus »wie von einem anderen Planeten«. Hört später als Sechsjährige, dass Kinder vom Benehmenbeibringen Blutkrebs kriegen. Schläft auch mal neben den Riesenlautsprechern auf Mamas Konzertbühne. Sieht Penis- und Arsch-Graffiti an den Wänden zu Hause, daneben Buddha-Bildchen, darunter Matratzenlager. Und dazwischen Iroquois, den damaligen Liebhaber der Mutter und nur elf Jahre älter als das Kind Cosma, ausdauernd Bier saufen, pupsen, rülpsen und fernglotzen. Kann nachlesen, dass der eigene Vater laut Mutter bloß »Samensieger« war, ein Musiker und Junkie, ein »ganz schwacher Mensch, der wie ein Zombie dahinvegetiert« und 1988 an Aids stirbt. Macht Kurzvisiten in 14, 15 oder mehr Schulen in halb so vielen Jahren, dafür in einem halben Dutzend Ländern, in Paris, London, Amsterdam, Los Angeles, auf Ibiza und Jamaika - wenn man nicht gerade mit Mama und ihrer Punk-Band auf Tour ist. Ein Leben im Stakkato.
Gebettet in einem »fliegenden Nest«
Das wäre die eine Lesart. Es gibt auch eine andere: Als Tochter von Nina Hagen - und Enkelin der Schauspielerin/Schriftstellerin Eva-Maria Hagen - wird man schön geboren und wird noch schöner, wenn man wächst. Ein Schlagsahneteint, eine dickdunkle Mähne, ein kirschroter Trotzmund und Augen so groß wie Murmelklikker. Und die schrille Mutter hätschelt ihre kleine Fee stinknormal: mit Pinocchio- und Pippi-Langstrumpf-Cassetten, alten Märchenbüchern; heult vor Stolz, als Cosma erstmals Theater spielt; will heute noch wissen, wohin sie mit wem ausgeht.Die Mutter bettet sie in »einem fliegenden Nest«, wie die Tochter es später nennt. Außerdem lernt Cosma, sich in dem ganzen Kuddelmuddel zu behaupten, nach außen und innen. Und legt sich etwas zu, das im Show-Business lebenslang nützlich ist: einen »built-in shit-detector«, eine Art körpereigener Mist-Melder.
Erwachsenwerden im Zeitraffer
Im Zeitraffer wird Cosma so erwachsen: Mit zarten zwölf Jahren hat sie, heute 20, die Nase voll vom Leben ohne Grenzen; sucht Regeln, wo andere anfangen, dagegen aufzubegehren. Sie sucht sich ein Internat bei Lüneburg, meldet »sich fast ein Jahr lang nicht« bei der Mutter. Hält die Schule aber »dummerweise nicht mal zwölf Monate durch«. Mittlere Reife hat sie offiziell, aber trotzdem »von Rechtschreibung keine Ahnung«. Dafür spricht sie perfekt Englisch und Französisch. Trifft mit dreizehneinhalb ihre »erste große Liebe«, den DJ und Maler Norbert Reiter, zieht mit ihm zusammen: »Die Vorstellung, eine kleine Hausfrau zu sein, hatte mich total begeistert. Nach zwei Jahren wurde das aber langweilig, da war ich wieder solo.« Jetzt ist sie Patentante von Reiters Sohn.
Cosma zieht nach Hamburg unters Dach und über die Großmutter, hängt dann rum und organisiert Underground-Partys; Nina oder Eva müssen für die Minderjährige die Mietverträge unterschreiben. Eva schickt Fotos der Enkelin an Casting-Agenturen - und so beginnt Cosmas Karriere; ein Selbstläufer für eine, mit der jede Kamera eine Liebesaffäre beginnt. Die erste heißt passenderweise »Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit«; sie spielt ausgerechnet ein Mädchen, das unter strengen Eltern leidet. Als Cosma, 14 Jahre alt und saunervös, beim Dreh auf dem Kaufhaus-Klo immer wieder den Orgasmus verbockt, grölt ein Kameramann: »Ey, die Kleine gehört bloß mal richtig rangenommen!« Darauf brüllt die Kleine, dass die Klotür wackelt: »Du Arsch, du auch!« Und haut ab. Heute kommentiert sie kühl: »Unter Punks ist man höflicher, wenn was nicht klappt.«Der zweite Kinofilm heißt »Sweet Little Sixteen«; Cosma ist etwas jünger als der Titel. Wieder liebt die Kamera sie, und wieder läuft sie öfter davon, wirklich oder wenigstens im Ton, wenn ihr was nicht passt.
Nicht brav, aber auch nicht zickig
Aus solchen und ähnlichen Anekdoten speist sich der Ruf, Cosma sei begabt - aber zickig, ojoijoi! Auch hier gibt es eine zweite Lesart: Sie ließ und lässt sich eben nichts gefallen. Sie sagt, sie sei »eher ein ruhiger Typ. Aber eben kein kleines Püppchen«. Sie ist kein Kind einer »Eislaufmami«, nicht brav und früh auf Funktionieren für den Erfolg gedrillt. So was ist Stärke und Schwäche zugleich: »Sie geht unkonventionell an alles ran, etwas anderes bleibt ihr ja nicht übrig«, sagt durchaus liebevoll einer, der mit ihr öfter gedreht hat, »sie hat die Kraft, aber nicht die Koordinaten.« Eine Schauspielschule, also: vier Jahre Wissentanken ohne Medienbeobachtung, fehlt; nur Sprechunterricht für die Synchronisierung des Disney-Films »Mulan« hat sie mal genommen. Egal, sie gewann schon Nachwuchsauszeichnungen, war voriges Jahr für den Deutschen Fernsehpreis nominiert.
In Hamburg lebt Cosma immer noch: »Ich habe eine 40-Quadratmeter-Wohnung, die ist retro-mäßig eingerichtet, mit Sitzkissen und balinesischen Tüchern.« Sie fährt Rad im Regen, weil fürs Führerscheinmachen die Zeit fehlt. Und schreibt an einem »Drehbuch über die Geschichte des Tanzes, so eine Art Doku mit Liebesgeschichte«. Trifft ihre Freunde, »die sind alle schön normal. Null Glamour, null Schauspielerszene, eher Musiker und Maler.« Und setzt sich ins Flugzeug, wenn die aus der Ferne mal wieder »Cosma, komm!« rufen; düst zur Sonnenfinsternis nach Venezuela oder zu Gigs nach Neuseeland. Für Reisen haut sie richtig Kohle raus, »ansonsten brauche ich nicht viel Geld zum Leben. Ich will nicht dauernd arbeiten müssen.«
Singen wird sie nicht
Trotzdem ist Cosma »in den letzten zwei Jahren auch Geschäftsfrau geworden«. Sie veranstaltet als »Galaxina« (für den Namen hat sie ganz professionell Titelschutz beantragen lassen) Musik-Events in der Berliner »Kopierbar« oder Open-Air mit Camping. »Und ich baue ein kleines Plattenlabel auf, die erste Compilation kommt im Frühsommer«; nein, singen wird sie nicht.
Und trotzdem ist Cosma im Fernsehen auf allen Kanälen; neulich in einer Komödie mit Esther Schweins (wo Cosma doch sang, ganz schnuckelig), im »Tatort« und in »Rosa Roth«. Alles mehr oder weniger gute und gut bezahlte Jobs. Andere, wohl berühmtere und besser bezahlte, lehnt sie auch mal ab, selbst wenn ein Hollywood-Regisseur wie Peter Bogdanovich dahintersteht. In dessen letztem Film »Cat's Meow« sollte sie die Geliebte des US-Medien-Tycoons William Hearst spielen, die mit Charlie Chaplin anbändelt - »aber auf einer Yacht hauptsächlich vor der Kamera zwölfmal gevögelt zu werden? Nee!«
Ab Juli tummelt Cosma sich im Reichstag, allerdings bloß für den Kinderkanal: als Kamerafrau beim Bundestags-TV, die drei kleinen Außerirdischen hilft, das deutsche Politsystem zu verstehen. Gerade abgedreht hat sie den grandiosen, autobiografischen Roman »Die Reise« von Ida Fink: die lebensgefährliche Odysee zweier jüdischer Schwestern durch Nazi-Deutschland, getarnt als polnische Zwangsarbeiterinnen. Sie spielte - für so wenig Geld, dass es geheim bleiben muss - deren Begleiterin Marysia, hat ungewaschene Haare und Sex mit einem Lagerkommandanten. Für Regie-Altstar Pierre Koralnik hätte sie »auch eine Tagesrolle übernommen, so beeindruckt war ich vom Drehbuch«. Und für Lars von Trier würde sie »gerne bloß den Eimer in der Ecke spielen«. Wenn sie schwärmt, dann klingt sie für einen Moment, als sei sie wieder 15, nicht gefühlte, erwachsene 30.
Vielleicht wird sie ja irgendwann doch wiedergeboren. Als Mutter ihrer Mutter zum Beispiel. Das wäre irgendwie gerecht.
Bettina Schneuer
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